Interview mit einem Flüchtling aus Kinshasa
Barbara Buchner, die Vorsitzende des Vereins So-Do-Kan München-Allach erzählt:
„Im Januar stand ein dunkelhäutiger, junger Mann in unserem Kindertraining und wollte mitmachen. Der Trainer hat ihn nicht verstanden und auf den nächsten Tag vertröstet. Am nächsten Tag war er wieder da, sagte einfach nur „Judo“ und den Rest mit Händen und Füßen und einem gewinnenden Lächeln. Wir luden ihn zum Erwachsenentraining ein wo wir bald erkannten, dass sich Djo neben Kata und Techniktraining besonders Wettkampf (Djo fragte „Shiai ?“) wünscht. Da er trotz des fehlenden Shiai regelmäßig ins Training kam, haben wir ihn in den Verein aufgenommen.
Er hat sich übrigens besonders über unseren Schwingboden gefreut und uns ein Stück Nage-No-Kata à la congolaise vorgeführt. Für das gewünschte Wettkampftraining haben wir ihn an den TSV Großhadern vermittelt.“
Ein paar Wochen später sitzt Dimandja Nseka Oudjack, Spitzname Djo, Jahrgang 1994, nach einem anstrengenden Training entspannt auf der Tribüne des TSV Großhadern, beendet noch schnell seine letzte Handy-message und lächelt uns freundlich an. Er wirkt mit Jeans, weißem T-Shirt und schwarzer Jacke wie jeder andere junge, selbstbewusste Mann. Aber das täuscht: Djo hat eine große, beeindruckende Geschichte hinter sich! Er ist bereit Michael Stecher und mir ein bisschen davon, in Form eines Interviews, zu erzählen.
Michael: Djo, wie bist du zum Judo gekommen?
Djo: Ich habe mit 5 Jahren in einer großen Judoschule mit dem Training begonnen, Centrikin (Santra Kin) in Kinshasa. Da waren ungefähr 100 Judoka. Mein großer Bruder, der viel älter ist, war schon dabei und hat mich einfach mitgenommen. Mir hat es dort gleich gefallen und ich wollte keinen anderen Sport mehr machen. Mein großer Bruder lebt jetzt auch in Europa und hat inzwischen den 6. Dan.
Michael: Wie ist Judo für die Kinder im Kongo organisiert?
Djo: Die Kinder gehen, wie hier, in Alter und Geschlecht gemischt ins Training. Im Kongo gibt es auch auf allen Ebenen Turniere und Meisterschaften. Ich habe mit 10 Jahren begonnen Wettkämpfe zu machen. In einem befreundeten Verein war ich auch Trainer. Den 1. Dan habe ich auch noch zu Hause abgelegt.
Michael: Was hat sich dann verändert und warum wurde Judo zum Problem?
Djo: Im November 2013 hat die Regierung die Operation Likofi gestartet. Damit haben die Probleme für uns hochgraduierte Judoka begonnen. Das hat aber auch die Boxer, Kickboxer, Karateka und alle anderen Kampfsportler betroffen. Alle haben sich vor der Miliz gefürchtet, die ganze Bevölkerung.
Michael: Wie ist es dir in dieser Zeit ergangen?
Djo: Ich sollte zum Beitritt in die Miliz (Polizei) gezwungen werden. Das wollte ich aber nicht, auch wenn einer meiner Cousins schon dabei war. Die Polizei hat mich abgeholt und mit Strom gefoltert. (Djo zeigt uns seine Narben an den Beinen, Armen, Augenlidern….Das Lächeln ist schon längst aus seinem Gesicht verschwunden und Michael hat Probleme mir diese Thematik mit seinem eigentlich guten Schulfranzösisch zu übersetzen.)
Michael: Und dann hast du entschieden zu fliehen?
Djo: Ja, es gab nur Misshandlung und vielleicht Tod oder Flucht. Meiner Familie konnte ich nicht unbedingt vertrauen, sie konnten mir auch nicht helfen. Ein Freund wollte mir helfen und hat gesagt: „Hau ab, die haben es auf dich abgesehen.“ Ich habe dann von jemandem, dem ich ähnlich sah und der nicht mehr im Kongo war, den Pass bekommen und konnte damit im Dezember 2013 nach Istanbul fliegen.
Michael: Warst du da alleine unterwegs oder zusammen mit Freunden?
Djo: Ich war zusammen mit mehreren Kampfsportlern unterwegs, aber auch zwei geflohenen Polizisten.
Michael: Wie ging es von da ab weiter?
Djo: Ich bin dann mit dem Schlauchboot nach Griechenland gefahren. Das Boot war ziemlich klein, aber viele Leute darin. Die Wellen waren ganz hoch. Wir sind dann auf Samos gelandet und waren 11 Tage dort in Zelten. Es war kalt. Aber ich habe Judoka aus dem Kongo wieder getroffen. Zusammen haben wir uns dann zu Fuß auf den Weg über die Balkanroute gemacht. Bis Österreich waren wir alle zusammen.
Michael: Aber ihr habt euch dann getrennt?
Djo: Wir wurden irgendwie getrennt und ich bin nach Bad Werneck geschickt worden und von da nach München.
Michael: Wir wissen, dass du bei So-Do-Kan München-Allach wieder zum Judo gekommen bist.
Djo: Ja, da war ich in der Nähe in der Flüchtlingsunterkunft und ich wollte unbedingt wieder Judo machen. Jetzt bin ich leider in ein anderes Lager in Starnberg verlegt worden. Da ist es eher langweilig.
Michael: Weißt du wie es im Kongo mit deiner Familie und deinen Freunden weitergegangen ist?
Djo: Mein Cousin wurde getötet. Auch Kampfsport-Freunde sind inzwischen tot. Ich habe gehört, dass man anderen Kampfsportlern, die trotz allem geblieben, aber nicht in die Miliz eingetreten sind, die Beine abgehackt hat. Alle meine Judofreunde sind jetzt weggegangen. Viele sind in Belgien, wegen der französischen Sprache und wollen, dass ich komme. Aber ich will bleiben, weil hier schon mein Antragsverfahren läuft.
Michael: Was wünscht du dir für die Zukunft in Deutschland?
Djo: Ich will weiterhin Judo machen, die Sprache lernen und arbeiten. Im Kongo habe ich begonnen Elektriker zu lernen, aber ich habe noch keinen Abschluss. Das würde ich gerne fertig machen, denn das hat mir Spaß gemacht. Ich bin froh, dass ich jetzt da sein darf!
Michael: Wir freuen uns mit dir. Danke, Djo, für das Interview und dass du deine Geschichte mit uns geteilt hast. Danke an Michi Stecher für die Übersetzung.
Sobald Djo über Judo spricht kehrt das Lächeln wieder in sein Gesicht zurück. Wir sind sehr von seiner Lebensgeschichte beeindruckt und davon, wie er damit umgeht.
Wer sich ein Bild davon machen will, wie Judo im Kongo zum Teil aussieht, kann sich ja mal auf Youtube folgende Videos ansehen:
https://www.youtube.com/watch?v=MbJZrIFGUH0
https://www.youtube.com/watch?v=sxntRYDkHt4
Human Rights Watch schreibt über die Operation Likofi:
Die Operation Likofi hatte eigentlich das Ziel die Umtriebe krimineller Banden zu beenden. Während der dreimonatigen Aktion lief das aber nicht immer nach den gesetzlichen Vorgaben ab. Die teilnehmenden Polizeieinheiten trugen häufig schwarze Gesichtsmasken um unerkannt zu bleiben, holten wahllos unbewaffnete Zivilisten nachts aus den Häusern und verschleppten, misshandelten oder töteten sie. So kamen nachweislich mindestens 51 junge Männer ums Leben, fünf waren erst zwischen 14 und 17 Jahre alt, und 33 verschwanden spurlos.
Die Dan-Graduierung ist inzwischen von Sven Keidel, nicht nur wegen der bunten Urkunde, anerkannt worden. Djo hat aber schon davon gesprochen, hier in München auch wieder Kata trainieren zu wollen. Der TSV Großhadern finanziert ihm derzeit eine Monatskarte, mit der er täglich nach München zum Judo fahren kann. Seinem Wunsch nach einem Wettkampf konnten wir mit einem Einsatz in der Regionalliga auch entsprechen. Er hat ihn trotz Niederlagen genossen.
Sollte jemand den Artikel lesen, der sich mit der Betreuung, den Abläufen und möglichen Hilfen für Flüchtlinge gut auskennt, wäre es schön, wenn derjenige sich unter doris.auer@judo-grosshadern.de melden könnte.